Amphibien auf Wanderschaft

Ein Interview mit Urs Hilfiker, dem Amphibienzugstellenbetreuer
Wer in den letzten Wochen Urdorf auf der Birmensdorferstrasse Richtung Süden verlassen hat oder so nach Urdorf gelangte, wurde unmissverständlich mit Warntafeln auf die wandernden Amphibien hingewiesen. Wer etwas genauer hinschaute, sieht auch die kleinen Absperrzäune entlang der Strasse. Was wird da eigentlich gemacht? Wer steckt dahinter? Um diese und andere Fragen zu beantworten bin ich auf Urs Hilfiker, den Amphibienzugstellenverantwortlichen und NVU Mitglied, zugegangen. Daraus ist das folgende Interview entstanden. Hier erfahren Sie alles Wissenswerte über die Wanderung der Amphibien in Urdorf.
Peder Zipperlen: Seit wann betreust Du die Amphibienzugstellen und wo gibt es diese in Urdorf?
Urs Hilfiker: Ich betreue die Zugstelle 1, den Übergang über die Birmensdorferstrasse (Pflanzgarten/Gmeindrüti – Ristetmatt/Badwis) das 12. Jahr, also seit 2004. Ich durfte diese Aufgabe von Richi Gartmann, welcher jahrelang die Zugstelle betreute, übernehmen. Überhaupt hat diese Zugstelle eine lange Tradition im NVU. Schon lange bevor die Autobahn gebaut wurde zogen die Amphibien aus dem Waldgebiet Egg in Scharen in den Bollweiher und wurden von Mitgliedern des NVU vor dem Massentod auf der Birmensdorferstrasse gerettet. An der Zugstelle 1 werden die Amphibien heute, durch Absperrungen geleitet, in im Erdreich eingelassenen Kesseln abgefangen und ins Rückhaltebecken Allmendbach transportiert. Die Zugstelle 2 westlich der Autobahnein-/ausfahrt Urdorf Süd (Vorderegg) betreue ich noch nicht so lange. Dort gilt es eigentlich nur die Durchfahrt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde zu unterbinden, so dass die Amphibien nicht überfahren werden. Der Zugweg ins angrenzende Ersatzbiotop ist dort ansonsten frei. Am Ende der Saison gilt es lediglich noch die Kanalisationsschächte auf hineingefallene Amphibien zu kontrollieren und diese zu befreien.
PZ: Welche Amphibien sind bei uns auf Wanderschaft anzutreffen?
UH: Bei uns ziehen hauptsächlich die drei Arten Erdkröte, Grasfrosch und Bergmolch. Dazu kommt ab und zu ein Fadenmolch. In den nunmehr 12 Jahren hatte ich ein einziges Mal das Glück einen Teichmolch retten zu dürfen.
PZ: Wandern Amphibien den ganzen Tag über?
UH: Ja das tun Sie. Sie bevorzugen jedoch eindeutig laue Regennächte, in denen sie zum Teil in Scharen auf Wanderschaft gehen.
PZ: Wie viele Tiere wandern insgesamt pro Saison an den betreuten Stellen? Wie viele überleben es und wie viele eben nicht?
UH: Die Anzahl der wanderden Amphibien schwankt stark von Jahr zu Jahr. Im Durchschnitt der letzten elf Jahre wanderten an der Zugstelle 1 etwa 100 Amphibien pro Jahr. Dort wo die Amphibien abgefangen werden kommt es selten vor, dass sie neben den Absperrungen auf die Strasse gelangen. Gelangen Amphibien im Frühjahr auf die Strasse ist ein Überleben beim heutigen Verkehrsaufkommen kaum möglich.
PZ: Beobachtest Du auch einen Rückgang der Anzahl wandernden Tiers? Schweizweit sind die Amphibien bekanntlich stark unter Druck?
UH: Wenn man die Durchschnittszahlen der Zugstelle 1 (nur dort sind effektive Zahlen vorhanden) der ersten fünf mit denjenigen der letzten fünf Jahre vergleicht, so nahm der Schnitt von gut 130 auf 70 Amphibien pro Jahr ab. Dies zeigt vielleicht, dass sie auch hier in Urdorf unter Druck sind. Andererseits ist es auch möglich, dass mit der jahrelangen Umsiedlung der Amphibien ihr Landlebensraum verschoben wurde und gar nicht mehr so viele über die Strasse wandern müssen.
PZ: Was war Dein eindrücklichstes Erlebnis als Zugstellenbetreuer?
UH: Ich denke, das erfreulichste Ereignis war, als ich einen Teichmolch im Kessel fand. Eindrücklich ist eigentlich jeder Morgen, an dem ich auf Kontrolle gehe. Das Erwachen der Vogelwelt mit den fast jeden Tag neu auftretenden Arten mit ihrem Gesang gibt mir ein gutes Gefühl für den anschliessenden Arbeitstag.
PZ: Warum wandern Amphibien eigentlich?
UH: Viele Amphibienarten brauchen ein Gewässer nur für die Paarung, das Laichen und die anschliessende Entwicklung zum Jungtier. Ansonsten leben die meisten an Land. Dort wo der Weg vom Landlebensraum zum Laichgewässer über eine befahrene Strasse führt sind Schutzmassnahmen für diese eidgenössisch geschützte Tiergruppe unumgänglich.
PZ: Es wird nur im Frühling auf wandernde Amphibien hingewiesen und entsprechende Schutzmassnahmen ergriffen. Warum nicht auch im Herbst, nach der Laichsaison?
UH: Nach der Winterstarre ist der Zeitpunkt für die Wanderschaft im Frühjahr in einer gewissen Zeitspanne voraussehbar. Je nach dem beträgt dies zwei bis vier Wochen. Die Massenwanderungen der durch den Winter geschwächten und die immer noch relativ kühlen Temperaturen langsamen Amphibien lassen sich dann gezielt betreuen. Der Rückzug vom Laichgewässer in den Landlebensraum ist nicht oder nur schwer voraussehbar. Warme Regennächte im Spätsommer können ebenfalls zu Massenwanderungen von Jungtieren führen. Die Alttiere wandern quasi im Einzelsprung zurück. An gewissen Stellen werden die zurückwandernden Amphibien ebenfalls abgefangen und umgesiedelt. Ich selber habe noch nie eine Meldung über massenhaftes Überfahren von Amphibien im Spätsommer in Urdorf erhalten.
PZ: Wie viele Stunden verbringst Du draussen jedes Jahr im Feld beim Betreuen der Zugstellen?
UH: Rechnen wir über eine Periode von vier Wochen für die morgendliche Kontrolle einen Zeitaufwand von 20 Minuten, so ergibt das pro Jahr etwa 9 Stunden. Dazu kommt noch etwa eine Stunde für die Zugstelle 2 was insgesamt rund 10 Stunden ergibt. Ich denke dies ist ein relativ geringer Aufwand für die Rettung der Amphibien.
PZ: Wie vielen Amphibien hast Du insgesamt das Leben gerettet?
UH: Es dürften über die Jahre wohl gegen 1‘500 Amphibien gewesen sein. Aktuell (das Ende des diesjährigen Zuges ist absehbar) konnte ich 87 Amphibien, darunter 40 Erdkröten, 32 Grasfrösche, 14 Berg- und zwei Fadenmolche über die Strasse tragen.
Besten Dank Urs, dass Du Dir die Zeit genommen hast für die fachkundige Beantwortung meiner Fragen. Dass Du über all die Jahre unzähligen Amphibien das Leben gerettet hast ist beeindruckend!